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Stalag VII A: Zeitzeugen

Major Karl August Meinel

Die Aussonderung sowjetischer Kriegsgefangener

Die Soldaten der Roten Armee wurde im Stalag VII A anders behandelt als ihre alliierten Mitgefangenen. Das belegt nicht nur ihr überproportional hoher Anteil an den Toten, die auf dem Lagerfriedhof in Oberreit bestattet wurden: über 80 Prozent der im Stalag gestorbenen Gefangenen waren demnach Sowjetrussen, obwohl sie im Lager selbst durchschnittlich nur etwa 18 Prozent ausmachten. Hunger, Kälte und Entkräftung dürften die Hauptursachen gewesen sein.

Aber es ging noch weiter: Aufgrund des sog. "Kommissarbefehls" ordnete das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) an, aus den sowjetischen Kriegsgefangenen "unerwünschte Elemente" auszusondern, denen man "bolschewistische Betätigung" unterstellte, v.a. Politoffiziere (Kommissare) oder auch Juden. Die Aussonderungen wurden von der Gestapo und vom Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers SS vorgenommen, aber die Offiziere der Lagerleitung waren angewiesen, sie dabei zu unterstützen. Zwar versuchten Oberst Nepf, Major Meinel und Hauptmann H. in Moosburg, zumindest durch "passiven Widerstand" diese Maßnamen zu hintertreiben, dennoch wurden Hunderte sowjetischer Kriegsgefangener im Stalag VII A und seinen Außenkommandos aussortiert, mißhandelt, in verschiedene Konzentrationslager (u.a. Dachau, Buchenwald und Mauthausen) transportiert und dort mit Genickschuß umgebracht. Insgesamt wird die Zahl der in deutscher Gefangenschaft ermordeten Rotarmisten auf 200 000 geschätzt.

Die folgenden Aussagen von Major Karl August Meinel sind dem Buch von Alfred Streim (Sowjetische Gefangene in Hitlers Vernichtungskrieg. Berichte und Dokumente 1939-1945. Heidelberg: C. F. Müller Juristischer Verlag 1982, S. 41-44) entnommen:

Über die Reaktion der Dienststelle des Kommandeurs der Kriegsgefangenen im Wehrkreis VII auf die Aussonderung sowjetischer Kriegsgefangener gibt die Aussage des Majors Meinel, der wohl die aktivste Rolle im Bemühen gespielt haben dürfte, die Herausgabe der ausgesonderten Kriegsgefangenen an den SD zu verhindern, Auskunft: [ 17 ]

"... Eines Tages kam ein Befehl, der dahin ging, daß durch Aussonderungskommandos der Gestapo in den Kriegsgefangenenlagern und auch in den Arbeitskommandos, die draußen auf dem Lande waren, die russischen Kriegsgefangenen auf sogenannte untragbare Elemente zu durchsuchen seien. Die Aussonderung der untragbaren Elemente war dabei angeordnet. Was mit den Ausgesonderten geschehen sollte, war mir damals zunächst nicht bekannt. Was den Zeitpunkt anlangt, in dem dieser Befehl an meine Dienststelle kam, so wird es wohl Herbst 1941 gewesen sein, wenn ich mich auch heute nicht mehr genau erinnere. Ich erinnere mich aber, daß schon vor Eingang dieses Befehls einmal ca. 400 russische Kriegsgefangene aus den Beständen des Stalags Moosburg und der zugehörigen Arbeitskommandos ausgesondert und nach Dachau gebracht wurden. Ich kam damals zu der Vermutung, daß auch diese Kriegsgefangenen in Dachau schon vernichtet wurden. Zu dieser Vermutung kam ich deshalb, weil bei einer späteren Auseinandersetzung zwischen mir und dem Reg.Rat Schimmel - dem seinerzeitigen Leiter der Gestapo München - [ 18 ] dieser letztere erklärt hat, seine Leute seien am seelischen Zusammenbruch wegen der zahlreichen Erschießungen. Ich habe daraus gefolgert, daß schon seit längerer Zeit Erschießungen vorgenommen wurden, und habe weiter gefolgert, daß die ca. 400 schon früher ausgesonderten russ. Kriegsgefangenen dieses Los gehabt hätten.

Der Befehl auf Aussonderung war vom Reichsführer-SS [ 19 ] an das stellvertretende Generalkommando des VII. AK. und von diesem an den Kommandeur der Kriegsgefangenen und von diesem an mich gelangt. Ich habe dem Befehl insofern Rechnung getragen, als ich an die mir unterstellten Arbeitskommandos sowie an das Stalag selbst die Weisung gab, den Aussonderungskommandos der Gestapo Zutritt zu geben. Zugleich erging Anweisung, die Kommandos auch in die Dienstzimmer hinein zu lassen. Im allgemeinen war für die mir unterstellten Lager bzw. Arbeitskommandos natürlich die Gestapo München zuständig. Es war aber auch ein Teil der mir unterstellten Kriegsgefangenen im Raume Vilshofen-Passau-Pöcking zur Arbeit eingesetzt. Für diesen Teil war die Gestapostelle Regensburg zuständig.

Nach Eingang des erwähnten Befehls hat es nicht lange gedauert, bis mir zu Ohren kam, daß Kriegsgefangene von den Aussonderungskommandos der Gestapo körperlich mißhandelt würden. Der erste, der mir darüber eine genauere Mitteilung machte, war der Sonderführer Baron von U.-St. Das gleiche wurde mir später von anderen Untergebenen bestätigt. Dies veranlaßte mich, meinem Vorgesetzten, dem General von Saur, eine persönliche Untersuchung vorzuschlagen. Wir haben beide verschiedene Arbeitskommandos im Raume Passau-Vilshofen-Pöcking aufgesucht und die Kommandoführer vernommen und uns auch die Listen vorlegen lassen über die Kriegsgefangenen, die ausgesondert worden waren. Dabei wurde uns allgemein bestätigt, daß die Kommandoführer der Gestapo die Kriegsgefangenen geschlagen hätten. Aus den Listen gewannen wir den Eindruck, daß hauptsächlich die Intelligenz aus den russ. Kriegsgefangenen ausgesondert worden war. Inzwischen war mir längst klar geworden, daß die Aussonderung zum Zwecke der späteren Exekution erfolgte.

Als wir von dieser Dienstreise zurückkamen, habe ich zu meinem Vorgesetzten, dem General von Saur, gesagt, daß ich einen Bericht verfassen werde, in dem gegen das Vorgehen der Gestapo auf's Schärfste protestiert wird. Es hat mich u.a. auch empört, daß die Kriegsgefangenen geschlagen wurden und daß dies auf dem der Wehrmacht unterstellten Gebiet geschieht. General von Saur war mit meinem Vorschlag einverstanden und der Bericht wurde von mir verfaßt. Er wurde vom General von Saur unterschrieben und ist auch nach Berlin weitergeleitet worden, und zwar an das Allg. Wehrmachtamt, General Reinecke. Auf Vorhalt: Ich weiß bestimmt, daß wir in dem Bericht nicht nur gegen die Methode der Aussonderung protestiert haben und gegen die Mißhandlungen, sondern insbesondere auch dagegen, daß die Aussonderung zum Zwecke der Exekution erfolgte. Die Folge des Berichts war, daß der Polizeipräsident von E. sich beschwerdeführend an den General von Saur gewandt hatte und meine Maßregelung verlangte. Daraufhin habe ich den Bericht vom 13. Januar 1942 (Anm.: Dok. 178-R, in IMT, Bd. XXXVIII, S. 439) verfaßt. General von Saur wurde dann zum Gauleiter Wagner vorgeladen, bei dem ich ohnehin politisch mißliebig war. Die Sache endete damit, daß ich als Kommandeur eines Kriegsgefangenenlagers nach Litauen versetzt wurde. Von dort wurde ich 2 Monate später in die Führerreserve versetzt. Alles das geschah gegen meinen Willen und hatte den offenkundigen Charakter einer Strafmaßnahme ... [ 20 ]

Die ausgesonderten Kriegsgefangenen wurden von den Stapo-Leuten nicht etwa gleich mitgenommen, sondern blieben zunächst in den Arbeitskommandos bzw. in dem Lager Moosburg, wenigstens soweit ich unterrichtet hin. Ich nehme an, daß sie von den Arbeitskommandos zunächst in das Hauptlager Moosburg gebracht wurden und daß sie von dort der Gestapo ausgeliefert wurden und dann nach Dachau kamen bzw. nach Buchenwald. Es ist richtig, daß an sich zur Auslieferung der bereits ausgesonderten Kriegsgefangenen an die Gestapo oder anders ausgedrückt zum Abtransport der Kriegsgefangenen nach Dachau bzw. Buchenwald die Anordnung einer militärischen Stelle notwendig war, weil durch die Aussonderung die Kriegsgefangenen der Verfügungsgewalt der Wehrmacht noch nicht entzogen waren. Es ist mir nun ein Rätsel, wer diesen Befehl bzw. diese Befehle gegeben hat.

Ich habe selbst so einen Befehl niemals gegeben. Ich will darüber die Aussage keineswegs verweigern, sondern bin meiner Sache ganz sicher. Ich halte es für möglich, daß der General Reinecke unmittelbar unter Umgehung meiner Dienststelle den Befehl erteilt hat oder daß eine - an sich unzuständige - Parteidienststelle es durchgesetzt hat, daß die Gefangenen ausgeliefert wurden ..."

Auf Vorhalt des Schreibens der Staatspolizeileitstelle München vom 24.11.1941 an das Reichssicherheitshauptamt betr. Überprüfung sowjetrussischer Kriegsgefangener (Anm.: Dok. 178-R/Dok. H, a.a.0., S. 432 ff.):

"Es ist richtig, daß ich bei den Verhandlungen mit dem damaligen Leiter der Gestapo München, Reg.Rat Schimmel, meine Einstellung sehr deutlich zum Ausdruck gebracht habe und zwar, um es kurz zusammenzufassen, dahingehend, daß ich mit der Aussonderung und den Exekutionen nicht einverstanden sei, weil man nicht das Recht habe, mit einem Kriegsgefangenen so zu verfahren, daß es ferner unrichtig sei, wertvolle Arbeitskräfte in dieser Weise zu vernichten, daß noch eine Aussonderung schon im Osten unmittelbar nach der Gefangennahme stattgefunden habe und daß schließlich doch zu befürchten sei, daß die Russen davon Kenntnis erhielten und an den deutschen Kriegsgefangenen entsprechend Rache nehmen würden. Ich bemerke dazu, daß ich diese meine Einstellung allen Personen gegenüber zum Ausdruck gebracht habe, mit denen ich über diese Dinge zu verhandeln hatte. Wenn ich mit der Gestapo in Regensburg verhandelt habe, so habe ich sicher die gleiche Einstellung zum Ausdruck gebracht."

Auf Vorhalt einer Stellungnahme des Krim.Kommissars Schermer vom 16. Januar 1942 (Anm.: Dok. 178R/Dok,K, a.a.0., S. 440ff.):

"Der Inhalt dieser Stellungnahme dürfte - was meine Person betrifft wohl richtig sein, weil das dort geschilderte Verhalten meiner wirklichen Einstellung ja entspricht. Wenn ich mich auch nicht mehr positiv an die Einzelheiten der Verhandlungen mit Schermer erinnern kann, so ist es durchaus wahrscheinlich, daß ich ihm entgegengehalten habe, die Gefangenen seien doch schon überprüft, und daß ich bemüht war, die Sache dadurch hinauszuzögern, da ich geltend machte, ich sei über die Einsatzorte selbst noch nicht genau unterrichtet und eine persönliche Rücksprache hätte noch keinen Sinn usw. An den Einzelfall bezüglich der 244 Kriegsgefangenen, von denen zunächst nur 30 nach Dachau überstellt und der Rest der Gestapo verweigert worden sein soll, kann ich mich auch jetzt nicht erinnern. Jedenfalls war es nicht so, daß ich 30 ausgeliefert hätte. Ich habe grundsätzlich jede Herausgabe verweigert ..."

[ 17 ] Aussage vom 10. 7. 1953 (Dok.Slg. ZSt., Ref. 301, Allgem., Ordn. I).
[ 18 ] Schimmel war nur Abt.Leiter.
[ 19 ] Irrtum Meinels. Die Anordnungen vom 8. 9. 1941 waren vom OKW erlassen worden und gingen auf dem (Wehrmachts-)Dienstweg an das stv. Generalkdo. bzw. den Wehrkreisbefehlshaber, General Wachenfeld.
[ 20 ] Immerhin ist Meinel kurz nach seiner Versetzung nach Litauen noch zum Oberstleutnant befördert worden. Ritter von Saur wurde im übrigen auch befördert (zum Generalleutnant), am 1. 8. 1942 jedoch ebenfalls in die Führerreserve versetzt (Dok.Slg. ZSt., Ref. 301, Allgem. Ordn. 1).

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