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Internierungslager: Zeitzeugen

Heinz Behrens

Die folgenden Angaben über den Internierten Heinz Behrens stammen von seinem Sohn Kai B. Behrens (gest. 2011):
"Heinz Behrens wurde am 7. Juli 1903 in Vegesack bei Bremen geboren. Sein Vater war Schuhmacher und seine Mutter war Hausfrau. Er besuchte das Realgymnasium in Vegesack von 1913 bis 1919. Dann ging er zur Höheren Maschinenbauschule bei den Technischen Staatslehranstalten zu Bremen. Er beendete sein Studium erfolgreich am 6. März 1924. Vom 1. April 1924 bis Ende März 1927 arbeitete er als Konstrukteur in der Abteilung Ölmaschinenbau beim Bremer Vulkan in Vegesack.

Im April 1927 zog mein Vater nach Kiel und fing seinen neuen Posten als Leiter des Büros für Schwingungstechnik bei der Germaniawerft an. Hier trat er 1928 in die NSDAP ein (er hatte das goldene Parteiabzeichen). 1930 heiratete er meine Mutter, die geborene Alida Maria Carola Larsen, die ihm fünf Kinder gebar. Am 11. Dezember 1933 nahm er seinen Abschied von der Germaniawerft. Sein neuer Posten: Direktor der Stadtwerke Kiel. Während des Krieges war er erst Direktor der Energieversorgung für das Baltikum und später für alle eroberten Ostgebiete. Von März 1943 bis Kriegsende war er Direktor der Abteilung Energiewirtschaft bei der Reichswerke AG für Berg- und Hüttenbetriebe "Hermann Göring" und arbeitete in Berlin-Halensee.

Wir waren in 1941 nach einem Bombenangriff von Kiel weggezogen. Wir wohnten in Berlin, Friedrichroda, St. Peter und landeten in Riga, wo meine jüngste Schwester 1943 geboren wurde. Mit der Annäherung der russischen Front wurde es für uns dann brenzlig und wir zogen zurück ins Reich. Die Firma Buchtal AG in Schwarzenfeld gehörte zu den Hermann-Göring-Werken und durch die Beziehungen meines Vaters erhielten wir in der Werksiedlung ein Haus. Am 20. Februar 1944 ging das Abenteuer los. Mit dem Zug von Riga nach Schwarzenfeld in der Oberpfalz. Es waren anscheinend ein paar aufregende Tage. Ich erinnere mich nur noch an ein paar Bahnhofmissionen (Gera, Dresden?). Das Kriegsende fand meinen Vater im Kraftwerk Hallendorf bei der Hütte Braunschweig. Von dort radelte er 1945 nach Schwarzenfeld, wo er kurze Zeit später verhaftet wurde. Dann kam seine Internierung in Moosburg, die Entnazifizierung und seine Zusammenarbeit mit Dr. Gottfried Cremer in der BAK (Betriebswissenschafliche Arbeitsgemeinschaft Keramik). 1954 zog die Familie nach Köln-Junkersdorf und ich emigrierte 1961 nach Kanada. In den frühen 1970 zogen meine Eltern nach Kiel zurück, wo sie beide ihr Leben zu Ende führten."

In einer Abschrift von Tagebuchaufzeichnungen und Briefen mit dem Titel "Wanderung" schildert Heinz Behrens seine Verhaftung und die anschließenden Internierung im Moosburger Civilian Internment Camp No. 6. Hier einige Auszüge:
17. April 1945.

Verhaftung in Schwarzenfeld und Transport nach Schwandorf.

Wie war das doch bei meiner Verhaftung? Heute, nach fast vierzig Jahren muß ich mich erstmal besinnen, zuviel ist in der Zwischenzeit an wichtigen Ereignissen vor unseren Augen abgerollt. Aber jetzt sehe ich ihn wieder deutlich vor mir, den bulligen Polen, der in die Wohnung stürmte und einen mit Maschinenpistole im Anschlag haltenden Ami-Soldaten mit sich riß. Die Kammertür flog auf, der Pole kam hereingestürmt und unterbrach mich, der ich mit Packen für meine Radtour beschäftigt war, die mich am nächsten Tag auf die Reise nach Hallendorf bringen sollte. Was heißt unterbrechen? Man könnte meinen, wenn ich das so freundlich formuliere, daß er in höflichen Ton zu mir gesprochen hätte - aber keineswegs! - hands up, das war alles was er sagen konnte und das genügte mir auch. Ich richtete mich auf und nahm die Arme nach oben. Er guckte in dem Zimmer herum, beorderte mich die beiden Koffer mit Anzügen und Wäsche zu füllen, ging dann zum Nachttisch, öffnete dessen Schublade und nahm meine gute alte goldene Uhr - die mal meines Großvaters gewesen war - steckte sie mitsamt der Kette in seine Brusttasche, während seine zweiten gierigen Finger die 1.000,- Mark ergriffen, die daneben lagen und ohne irgend ein Zögern verschwanden auch sie in einer seiner ausbeulenden Taschen. So war in wenigen Sekunden unser ganzes Geld und Gut, das wir durch die Zeit gerettet hatten dahin - verflogen - futsch! Alida's Gesicht war weiß wie die Wand und die Kinder scharten sich furchtsam vor der offenen Tür. Nur der Ami-Soldat machte ein betretenes Gesicht. Und ich konnte meine Arme wieder herunter nehmen und beginnen die Koffer voll zu packen. Die Tatsache meiner Verhaftung wurde mir durch Androhen eines Pistolenlaufs klar gemacht. Dann verließ der Pole den Raum um die übrigen Zimmer zu inspizieren und ließ mich mit dem Ami allein. Ich nahm allen Mut zusammen und sagte: "As you see, I am father of five little children, please may I take some items out of my baggage for those little kids?" Er guckte mich groß an, dann drehte er sich zur Wand und sagte: "I don't be seeing anything!" So riß ich schnell einige von den Sachen wieder aus meinen beiden Koffern und schmiß sie unter das Bett. Schon kam auch der Pole zurück. "Come on, let's go!!" Ich nahm beide Koffer, drückte meine geliebte Alida kurz und fest an mich, und verließ mit einem langen Blick auf' die Kinder - sie alle, Marili die große, Ule, Knut, Kai und die kleine Gunda - das Zimmer und unser Heim.

Draußen stand ein Jeep. Alle möglichen Menschen standen in großem Bogen um ihn herum. Ich wurde hinten hineingestoßen, meine beiden Koffer hinterhergeworfen und der Pole setzte sich neben den Fahrer.

Dann fuhren wir ab. Alida und die Kinder wurden allmählich immer kleiner. Dann machte die Straße einen Bogen. Die kleinen Häuschen schoben sich in das Bild und waren bald das letzte, was ich von unserer Oberpfälzer Heimat, von unserem kleinen Häuschen noch sehen sollte.

Ich weiß garnicht wie mir war. Ich war einfach benommen und hatte einen schweren Kloß in der Brust.

Über die bekannte Chausee fuhren wir nach Schwandorf. Vor einem Lokal am Marktplatz machten wir halt. Ich wurde hineingewiesen, hinunter in den Keller. Die Tür schloß sich hinter mir, ein Schlüssel drehte sich im Schloß und ich stand in einem dunklen Raum. Unnötig zu sagen, daß meine beiden Koffer auf und davon waren. Sie waren mit dem Polen im Wagen geblieben.

Da war ich nun im Keller. Allmählich gewöhnten sich die Augen an die Dunkelheit . Ich vermochte Menschen auszumachen, die auf dem Boden herumlagen. So legte ich mich auch bald irgendwohin und döste wie sie.

Die Kälte des nackten Steinfußbodens kroch langsam in mir hoch. An Schlaf war nicht zu denken. Allmählich merkte ich, daß es auch den anderen so erging. Ein Husten und Rumoren ertönte im ganzen Raum. Es mochten wohl alles in allem ein Dutzend Menschen sein, die wie ich hier frierend eingeschlossen lagen. Langsam merkte ich, daß ich unter die Wölfe gefallen war. Aus den Gesprächsfetzen konnte ich schließen, daß die anderen alle KZler waren. Menschen, die sich im Freien herumgetrieben und einzelne andere drangsaliert hatten. Wie auch ich vor einigen Tagen von drei Mann, die mit kräftigen Knüppeln bewaffnet waren, vom Rad gerissen und verprügelt worden war. Ich mußte von Dank sagen, daß die sechs Eier, die mir eine bekannte Frau - der ich Nachricht von ihrem Mann gebracht hatte - für meine Familie gegeben hatte, bei dem ganzen Gerangel nicht nur in meiner Hand geblieben waren, sondern auch noch heil und ganz waren. So war mir, von ein par Stockhieben abgesehen nichts weiter passiert, als daß mein Rad geklaut war und ich mich humpelnd auf den Heimweg machen mußte. Es waren mühselige fünf Kilometer die ich so zu humpeln hatte.

Ja, so ähnlich oder auch schlimmer werden es die Kumpane getrieben haben, die mit mir im Keller einer langen Nacht entgegensahen. Es wurde natürlich bekannt - ich versuchte auch garnicht, es zu verschweigen - daß ich als Nazi eingesperrt worden war, während sie doch alle Kämpfer für die Freiheit und gegen das NS-System gewesen wären. "Du wirst schon sehen, wie es sein wird im KZ", redeten sie. Doch im Laufe der Zeit hieß es: "Na, du bist jetzt ja ein Kumpel von uns. Uns haben die Armlöcher wieder eingesperrt, weil wir versuchten, uns an denen da draußen schadlos zu halten, aber das wird morgen früh vorbei sein. Aber dich, dich haben die erst mal zu fassen, und dich lassen die nicht wieder los! Weißt du, wie du dich verhalten mußt um möglichst gut durch das KZ zu kommen? Erst mal mußt du ...," und so redeten sie her und hin, wie man zu Kartoffeln kommen könne und auf welche Weise man am besten in ein Arbeitskommando gelangen könne... so vergingen die Stunden der Nacht. Zum Schluß fühlte ich mich geradezu als in eine große Gemeinschaft gehörig. Ich habe über meine Erlebnisse in dieser Nacht schon im vorigen Band berichtet und will es nun dabei. bewenden lassen. So verrann die erste Nacht.

Nach fast einem Jahr Gefangenschaft der erste geschmuggelte Brief.

Am 31. Januar 1946 hatte ich zum ersten mal die Möglichkeit einen Brief aus dem Lager zu schmuggeln. Fast ein Jahr waren wir nun schon in Moosburg, wenige 100 km entfernt von unseren Lieben und wußten bis heute nichts voneinander, weder ob wir waren noch wo wir waren! Dieser Brief, den ich unter falschem Namen als "dein alter Freund Fritz Schuster" schrieb, kam tatsächlich an! Ein Wunder! So wußten wir endlich voneinander und alles war gut!

31. Januar 1946

Liebe Alida und liebe Kinder!

Nachträglich sende ich Euch, auch im Namen meiner ganzen Familie meine herzlichsten Glückwünsche zum Veuen Jahr. Ich hoffe sehr, daß ich Euch in den nächsten Monaten einmal wieder werde besuchen können. Dann werden wir uns endlich einmal in Ruhe über alle die Dinge unterhalten, die uns am Herzen liegen. Zu Weihnachten und Neujahr habe ich sehr auf Nachricht von Euch gewartet. Man macht sich immer gleich so sorgenvolle Gedanken, wenn nichts von Euch kommt. Dann, endlich, am l7. Januar kam Euer liebes Paket. Ich war zu Tränen gerührt über alles und die kleine Zeichnung und die Zeilen und das Marzipan und das fabelhafte Gebäck und das Roggengebäck. Der Füllhalter war leider verloren (in Wirkichkelt hatte ihn der kontrollierende Pole vor meinen Augen in die Tasche gesteckt! - Eingefügt am l5. März 1983.) Und auch irgend Heftchen, das anscheinend drin war. Aber der Schlafanzug ist der Eleganteste, I ever have had. Ich fürchte nur immer, daß Du, liebe Alida, Heinz zu sehr um diese guten Sachen beraubst. Er braucht die Dinge doch sicher selber, wenn er aus Moosburg zurückkommt. Hast Du ihm schon geschrieben? Du weißt doch, daß man das jetzt unbeschränkt kann. Mir schicke also bitte immer nur Sachen, deren Verlust verschmerzt werden kann. Persönlich geht es mir entsprechend ausgezeichnet. Ich habe in den letzten drei Monaten sogar 16 Pfund zugenommen und wiege setzt schon wieder soviel wie bei Einlieferung in das Lager. Du brauchst also wirklich Lebensmittel nur soweit zu schicken, wie Ihr sie wirklich entbehren könnt.

Meine Gedanken sind immer wieder bei Euch. Nachdem der Schwan verschwunden ist, gebe ich jetzt meine Wünsche dem Orion mit.

In herzlicher Kameradschaft
Dein alter Freund Fritz Schuster

Aus meinem Tagebuch

Sonntag, den 17.02.1946

17.30 Uhr. Unser Block-Chor gibt ein lustiges Programm. Wistinghausen macht geniale Reim-Ansage. Er benutzt dazu auch meinen Busch: Kritik des Herzens (den ich Weihnachten Neumaier geschenkt habe. Großer Beifall dankt ihm. Das Chor singen macht mir immer wieder große Freude. Es gibt stets eine Stunde befreiter, fröhlicher Stimmung. Das Programm:

Die Bedanken sind frei
Es hat ein Bauer ein schönes Weib
S'Dirnd'l hat gesagt
O hängt ihn auf
Oper
Lagergeräusch
Räuberlied
Es, es, es und es es ist ein harter Schluß

Montag, den 18. Februar 1946

Immer noch kein Brief von Alida! 14.00 Uhr. Mitwirkung des Block-Chors in Lutherfeier anläßlich seines 400-jährigen Todestages. Wir singen:

Erhalt uns Herr bei Deinem Wort
Jesus Christus

Gegenüber den gedankentiefen Ausführungen von Herbert Böhme am Sonntag wirkt die Rede Pfarrers Roth wie eine Phrasensammlung. Er hat schon viel besser gesprochen. Sehr ausdrucksvoll sind dagegen die vorgetragenen Luther-Worte. Man muß sie lesen.

Dienstag, den 19. Februar 1946

Von Heinz Behrens im Lager geschriebene und gebundene Bücher Die Konstruktion des Kleinstautos [für den US-Sergeant Schwarz; Anm. v. Moosburg Online] geht rüstig voran und macht nach wie vor viel Freude. Von Alida noch immer keine Zeile! neben mir arbeitet ein Buchbinder. Er bindet sauber mit Können und handwerklicher Liebe ein: "Woran Deutschland zerbrach - Militärtechnische Ursachen des Zusammenbruches". Mit gleicher Berufsliebe mit der ich ein Kinderauto konstruiere!

Mittwoch, den 20. Februar 1946

Inzwischen wiege ich wieder 61,6 kg. Im August waren es 50 kg. Leider immer noch Wasser in den Beinen trotzdem ich schon eine Woche lang nicht einen Schluck getrunken habe!

Konstruktionsarbeiten am Kleinauto. Neuer Auftrag durch H. Pohle für die Amis. Möglichkeiten der Motorisierung auf Grundlage der gegebenen Rohstoffbasis untersuchen. Ganz große Sache! 19.00 Uhr. Vortrag Pauly über die Kolonisierung der Wolgadeutschen. Vom bitteren Anfang 1762/63 bis zum tragischen Ende im Mai/Juni 1941.

Montag, den 25. Februar 1946

Auf der Paketliste erschien der Name Behrens. Leider mit Vornamen Oskar! Immer noch kein Lebenszeichen von daheim.

Von frühmorgens an intensiv gearbeitet. Ehe ich es merkte, war es 19 Uhr. Um 20 Uhr Chorprobe.

Dienstag, den 26. Februar 1946

In der Nacht auf heute mußten wir unsere Baracke räumen weil sie entwest werden sollte. Heute morgen, als man sie öffnete, krabbelten die Wanzen jedoch noch lustig herum. Man will es noch einmal versuchen. Ich muß also noch eine Nacht in der "Stube" von Neumeier auf dem Tisch schlafen! Übrigens haben mich die Wanzen bisher völlig in Ruhe gelassen. Vielleicht werden sie jetzt durch den Gaskrieg so richtig aggressiv.

Heute abend steht mein Name auf der Liste der Postpäckchen. Ob es diesmal stimmen wird? Und ob ein Brief dabei ist?

Mittwoch, den 27. Februar 1946

Und wieder war es kein Päckchen von Alida! Aber eines von den Eltern! Wieviel mehr würde ich mich gefreut haben, wenn ich nicht so sorgenvoll auf Nachricht von Alida wartete!

Heute habe ich zum erstenmal wieder einer Stenotypistin in die Maschine diktiert! Den Bericht: Das Treibstoffproblem im Rahmen der Motorisierung Deutschlands.

Donnerstag, den 28. Februar 1946

Zur Zeit üblicher Tagesablauf:

06.00 bis 06.30 Aufstehen.
08.00 bis 11.00 Arbeit an Konstruktion des Kleinautos und an den Berichten.
12.00 1500 m Lauf, Mittagessen
12.00 bis 13.00 Englische Konversation. (Mit Richard Hartmann). Anschließend wieder in Baracke 25, der "Intelligenzbaracke".
Zwischendurch Abendessen
Außerdem:
Dienstags und Donnerstag: 18.00 bis 18.45 Dolch "Philosophie".
Montag, Dienstag, Freitag, Sonnabend 20.00 bis 21.00 "Chorprobe".
An anderen Vorträgen kann ich wegen meiner Tätigkeit in Baracke 25 nicht teilnehmen.
20.00 "Bettruhe".

Mittwoch, den 6. März 1946

Gestern war große Empörung im Lager. Radio gab die Rede von Jackson aus Nürnberg durch, worin behauptet wurde, wir wären darauf hingewiesen worden, bei unserer Vernehmung, daß wir uns zur Anklage gegen die Organisationen äußern könnten. Aber trotzdem Tausende von SS-Angehörigen und Politischen Leitern in Moosburg wären, hätte sich keiner gemeldet! Keiner habe Interesse am künftigen Geschick Deutschlands! Soweit Jackson. - Tatsache ist, daß eine ganze Anzahl Internierter in dieser Sache Eingaben gemacht hatten, deren Weitergabe abgelehnt wurde. Tatsache ist ferner, daß uns ausdrücklich verboten wurde, weitere Eingaben in dieser Sache zu machen. Eine gute Instruktion für die Unbelehrbaren! Der Bürgermeister (des Lagers, ein Internierter! hat entsprechenden Pro- test nach Nürnberg gerichtet. Ob er ankommt?

Postkarte von Heinz Behrens an seine Frau Alida Immer noch keine Nachricht von Alida. Gestern habe ich Suchkarte durchs Rote Kreuz abgegeben. Ob Alida auch nichts von mir weiß?

Von morgens früh bis abends spät in diesen letzten Tagen meinen Bericht über Treibstoffversorgung... in Maschine diktiert. Er soll Sonnabend fertig werden.

Donnerstag, den 7. März 1946

Ein Freudentag! Ein Brief und ein Päckchen von Alida! Abgeschickt aus Schwarzenfeld, am 4. März 1946.

Postkarte von Heinz Behrens an seine Frau Alida Anscheinend hat die Gute schon häufiger geschrieben, ohne daß ihre Briefe angekommen wären. Denn dieser Brief klingt garnicht wie ein erster! Aber die ganze Stimmung klingt mutig und stark und auch nicht nach Isolation. Ein glücklicher Tag.

Sonntag, den 10. März 1946

Ein richtiger gemütlicher Nachmittag mit Osso und Neumeier. Ich hatte eine Büchse Meat and Vegetables gefaßt. Die Beiden gaben eine Büchse Fleisch und Kartoffeln hinzu. Das gab ein Essen, wie ich es im Lager überhaupt noch nicht gehabt habe. Dann opferte Osso eine letzte Zigarre. Das ergab sechs Zigaretten! Dazu eine Tasse Kaffee und von Neumeier ein Stück Kuchen. - Ein denkwürdiger Tag!

Heinz Behrens, Nr 5496, Civ.Int.Camp, Moosburg
Samstag Nachmittag, den 9. März 1946, eing: 12.

Geliebter Heinz!

Heute nur einen kurzen Gruß. Hier ist also der Leimtopf mit Einsatztopf zum Wärmen der Suppe. Etwas zur Übung für Deine Zähne. Anfang nächster Woche kommen einige Eier und etwas Butter. Nächste Woche geht hier die Gartenarbeit los. Zunächst noch einmal die Grube ausleeren, dann umgraben. Heute hat Herr Ivo vor den Fenstern ein Stück umgegraben für Frühbeete. Da kommen dann später Tomaten hin. Ule und Gunda haben eine leichte Grippe. Knut hustet. Den anderen geht es gut.

Tausend innige Grüße Alida und die Kinder.

Kaum hatte ich das Päckchen mit seinem köstlichen Inhalt und den Brief mit innerer Rührung zu mir genommen, da wurde ich schon wieder aufgerufen. Ein weiterer Brief von Alida - vom 27. Februar!, eingegangen auch heute, am 12. März 1946 - wurde mir übergeben. Ich nahm ihn und las ihn, auf meinem Lieblingsplatz an der äußeren Barackenwand sitzend. Der Blick ging dort in die weite wellige Ferne. Die Menschen arbeiteten dort auf den Feldern unn der Stacheldraht der uns umgab und uns von ihnen und von der Freiheit trennte, war wie eine vergessene, unsichtbare Wand zwischen dem Hier und dem Dort, zwischen der Enge und der Weite.

Donnerstag, den 21. März 1946

Heute war Großkampftag! Es ging ein:

Von Alida:
1 Paket mit 2 Broten!
1 " " Kissen!
1 " " Haferflocken!
1 " " Roggenplätzchen!
Von Erika Bittmann:
1 Paket mit Stahlbeton-Kalender!

Heinz Behrens. No 5496 Moosburg
Alida Behrens, Schwarzenfeld Den l6. März 1946, eing: 29. März.

Liebster Heinz!

Ich hatte Dir zwar für diese Woche etwas Butter und ein paar Eier versprochen, aber leider hat es nicht geklappt. Dafür schicke ich Dir hier Deine geliebten und sicher Slang entbehrten Haferflocken!, Salz und fertige Suppe, die sehr gut ist. Du wirst Dir sicher etwas daraus zurechtbrauen können. Ich habe kürzlich lange mit einem Mann gesprochen, der acht Monate in Hessen in einem Lager war. Daher weiß ich so ziemlich wie es auch Dir ergeht und bin erheblich beruhigt. - Mit gleicher Post geht auch ein Paket mit Brot an Dich ab. Du mußt jetzt auf Vorrat futtern, im nächsten Morlat werde ich wahrscheinlich nicht so schicken können, weil die Rationen etwas gekürzt werden. Am Dienstag haben wir die Miete aufgemacht. Alles war tadellos! Ein paar Steckrüben und rote Rüben schicke ich Dir auch. Du mußt sie Dir fein schaben. Ich habe sehr viel Arbeit gehabt in dieser Woche. Ich bin immer noch hinter dem Buch für Dich her.

Tausend Küsse Deine Alida.

Dienstag, den 2. Apri1 1946

Und nun soll der Humor auch nicht ganz vergessen werden.

Es lagen einige Kameraden am Aussenzaun des Lagers in der herrlichen Sonne, Draußen fuhr ein alter Bauer mit seinem Gespann vorbei. Als er kurz stehen blieb und sich den Schweiß von der Stirn wischte, rief er ins Lager herüber: "Es ist doch unerhört, dort liegen die jungen Kerle faul in der Sonne und wir alten Männer müssen schwer arbeiten!" Prompt ertönte die Antwort: "Ja, Alter, wenn du Nazi gewesen wärest, dann könntest du jetzt auch hier in der Sonne liegen!" (Der Alte war einer der wenigen, die ihre Felder um's Lager bestellen durften.

Heute wurde im Lager eine Aktion wegen der "Kristallnacht" durchgeführt. Wir mußten alle eine Eidesstattliche Erklärung abgeben, inwieweit wir daran beteiligt gewesen waren. Meine Erklärung lautete wie folgt:

"Lager Moosburg 15-21 Moosburg, den 10.4.46

Eidesstattliche Erklärung

Der Unterzeichnete, wissend, daß die nachstehende eidesstattliche Versicherung zur Vorlage bei dem Internationalen Militär - Tribunal in Nürnberg bestimmt, und daß die vorsätzliche oder fahrlässige Abgabe einer inhaltlich falschen eidesstattlichen Versicherung bestraft wird, versichert hiermit die Richtigkeit der folgenden Angaben an Eides statt.

Zur Person: Heinz Behrens, geb 7.7.1903 in Bremen- Vegesack, zuletzt Bereichsleiter (?) in Berlin Lager No 5496, Block 6, Baracke B.

Die Ausschreitungen gegen die Juden im Jahre 1938 sind im Korps der Politischen Leiter - soweit mir bekannt nicht vorbereitet worden. Ich entsinne mich, daß ich zwei Tage vorher - eine Dienstreise nach Berlin antrat und mich vorher ordnungsgemäß bei meiner damaligen Gauleitung Schleswig- Holstein in Kiel abmeldete. Am Spätabend (gegen 23 Uhr des Tages an dem die Ausschreitungen stattfanden kam ich nach Kiel zurück. Ich erfuhr erst am nächsten Morgen von den Vorkommnissen. Wenn irgend eine Einschaltung der Politischen Leiter vorgesehen gewesen wäre, hätte ich dies sicher vorher erfahren.

Heinz Behrens"

Sonntag, den 5. Mai 1946

Aufführung von Sophokles: König Ödipus. In der vergangenen Woche: Kabale und Liebe. Staatsintendant Meißner aus Frankfurt/M inszeniert hervorragend!

Donnertag, den 16. Mai 1946

2 Backenzähne, rechts unten gezogen. Gestern Impfung gegen Fleckfieber. Nachem vor kurzem der älteste Internierte mit 84 Jahren entlassen wurd, ist der nächste nur noch 80 Jahre alt!

Montag, den 3. Juni 1946

Heute vor einem Jahr kam ich in Schwarzenfeld an. Welche ereignisreiche Fahrt lag damals hinter mir und was habe ich in diesen Tagen alles erlebt.

Donnerstag abend fragte man mich, ob ich Interesse hätte mit dem Kommando Schwimmbad einige Tage "hinaus" zu gehen. Eigentlich hatte ich ja kein Interesse, weil ich im Arbeitskommando von Richard Hartmann tätig war, dort Zusatzverpflegung bekam, während es im Schwimmbad nichts gibt. Aber - was sich bietet muß man als Wink des Schicksals ergreifen - und so sagte ich zu.

Am Freitag früh gingen wir in Kolonne am Bahnhof Moosburg vorbei, als wie üblich gerade die Menschen aus ihm heraus strömten. Aber im Gegensatz zu sonst, waren es nicht die Reisenden des Schnellzuges aus Regensburg, sondern es war ausnahmsweise der Personenzug früher eingefahren worden. Heraus kam - Antonie [Ehefrau des Mithäftlings Hartmann; Anm. v. Moosburg Online]! Sie konnte mir gerade noch zurufen: "Sie ist bei mir! - und ich entsprechend antworten!

Dann erlebte ich am Sonnabend ein Glück, wie es nur einmalig sein konnte. Alles verlief glücklich, wie es wohl sonst noch keiner erlebt hat. Und das alles an dem Sonnabend an dem ich vor einem Jahr genau so unerwartet zu Hause ankam.

Anfang Quellen:

  • E-Mails von Kai B. Behrens, Douglas, Ontario, Kanada, an Moosburg Online, April 2000
  • Heinz Behrens: Wanderung. Bd. 3: Zusammenbruch (Schriftwechsel von 1945 bis 30. Juni 1946). Kiel (masch.) 1983

    Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Kai B. Behrens.

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Zuletzt bearbeitet am 28.5.2011 vom © Team Moosburg Online (E-Mail) - Es gilt das Urheberrecht!