Moosburg Online: www.moosburg.org
Stalag VII A: Zeitzeugen

Rudolf Koller

Stadtkommandant von Moosburg und Leiter der Wachmannschaften des Stalag VII A


Abkürzungen:

Adj.: Adjutant
a.v.:
Btl.: Bataillon
Col.: Colonel
Div.: Divions
fdl.: feindlich
Fhr.: Führer
Gefr.: Gefreiter
Hptm.: Hauptmann
HK: Hauptkampflinie
Kdo.: Kommando
Kdr.: Kommandeur
kv.: kriegsverwendungsfähig
Laz.: Lazarett
Lt.: Lieutentant
lt.: laut
Kgf.: Kriegsgefangener
Kp(n).: Kompanie(n)
Oblt.: Oberleutnant
Oflag: Offizierslager
Offz.: Offizier
Ofw.: Oberfeldwebel
Ostbzm.: Oberstabszahlmeister
Sch.: Schützen
Uffz.: Unteroffizier
V.: Volkssturm


Nachruf auf Rudolf Koller

Erlebnisbericht vom 1. bis 29. April 1945

"1.4.-26.4.1945

Über die Osterfeiertage gelingt es mir am l. und 2.4. noch auf einige Stunden nach Landshut zu kommen und mich dort meiner Familie zu widmen. Im Unterbewußtsein und auch mit Absicht fotografiere ich meine Frau und Kinder in der Gegend von Salzdorf auf der Enzian- und Schlüsselblumenwiese und am Klausenberg in vielfacher Art.

Durch die Verschärfung der Kriegslage an den Fronten wird auch der Dienstbetrieb im 2. Sch. Btl. 512 in Moosburg immer schwieriger. Die fast täglich geführten Luftangriffe - ich war mit sehr gemischten Gefühlen Zeuge mehrerer schwerer Tagesangriffe auf Landshut, besonders auf das Bahnhofsgebäude - haben die telefonische Verbindung zu dem Kpn. nach Erding, Ingolstadt, Schrobenhausen und Mainburg ganz zerstört. Nur durch Meldefahrer kann diese noch aufrecht erhalten werden und dies ist mit großem Zeitaufwand verbunden. In das Stalag kommen fast täglich sogenannte "R" Gefangene, d. s. aus den Kampfgebieten zurückgeführte Kriegsgefangene aller Nationen. Ende April sind dort ca. 30 000 Kgf. versammelt, darunter 12 000 Offiziere, so z. B. das gesamte Oflag Eichstätt. Die Begleitmannschaften der "R" Gefangenen werden sämtlich dem Btl. 512 unterstellt. So umfaßt das Btl. mit seinen eigenen Kpn. bald 12 Kpn., die in der näheren Umgebung von Moosburg untergebracht sind. Der Ausbildungsstand der neuen Kpn. ist sehr mäßig, allerdings sind sehr viele kv. Leute, insbesonders Luftwaffenangehörige dabei.

Ein Befehl jagt den anderen, Besprechungen am laufenden Band, es geht sichtlich dem Ende zu! Unterkunft für die Stalag Kgf. ist im Ebersbergerforst zu erkunden, es sollen aber nur die Amerikaner dorthin transportiert werden, natürlich im Fußmarsch. Die restlichen Nationen sind den anrückenden Amerikanern zu übergeben. Ein sehr leicht durchzuführender Befehl! Dabei soll bis zur letzten Minute gekämpft und gearbeitet werden. Die Befehlsgeber scheinen keinen Schimmer der tatsächlichen Lage zu haben. General Kriebel, der Befehlshaber im Wehrkreis VII wird krank, ihn ersetzt General Greiner, der sich gleich mit einem schwungvollen Tagesbefehl einführt. Auch General Sintzenich, Schutzbereichführer Ost begibt sich ins Lazarett. Von keiner Dienststelle bekommt man eine richtige Auskunft, geschweige denn Befehle. Die Isarlinie soll zur HK 2 bestimmt sein, besonders Landshut. Pionieroffiziere melden sich täglich mit Befehlen, die Amper-Isarbrücken zur Sprengung vorzubereiten. Ich versuche mit Hilfe eines Ingenieurs der Mittleren Isar AG die Leute von der Sinnlosigkeit dieser Brückensprengbefehle zu überzeugen. Einige sehen dies auch ein, aber andere, hauptsächlich mit norddeutschem Akzent sprechende, reagieren sehr sauer darauf. Ein richtiger Widerstand ist ja bei dem Kampfwert und der Bewaffnung meiner ausgesiebten a. v. Leuten völlig aussichtslos. Als Vertreter des Standortältesten Oberst Burger werde ich zum Schutzbereichsführer Moosburg ernannt und bin ich damit gleichzeitig Kampfkommandant von Moosburg. Der Oberst übernimmt die Sicherheit im Lager, wozu ihm meine 4. und 6. Kp. unterstellt werden.

Die Zusammenarbeit mit dem mir unterstellten Volkssturm Btl. (Moosburg, Nandlstadt, Bruckberg) ist gut. Die Männer sind über ihre Aufgaben, soweit dies möglich ist, gut unterrichtet. Als Richtlinie gebe ich allen Führern von meiner Seite die Weisung mit: in erster Linie für Ruhe und Ordnung zu sorgen und jedes Blutvergießen vermeiden, dann niemand an die Kgf. heranlassen und deren Sicherheit gewährleisten. Werden von anderer militärischer oder politischer Seite sinnlose Befehle gegeben, dann scheinbar darauf eingehen, sich in der Auffassung etwas beschränkt zeigen, im übrigen aber nur nach obigen Richtlinien handeln. So weit ich den Überblick noch habe, haben sich alle Volkssturmführer richtig in den kritischen Tagen verhalten.

Nach Erzwingung des Donauüberganges bei Donauwörth rückt die amerikanische Front von Westen her gewaltig näher; man kann bereits nachts Geschützfeuer vernehmen. Die fdl. Lufttätigkeit läßt auffallend nach. Schwachen Widerstand überwindend, erreichen gegen den 25.-26.4. die Amerikaner Mainburg. Unsere Nachrichtenverbindung von Seite der Führung lassen sehr zu wünschen übrig. Man ist restlos auf sich gestellt. Oberst Burger entschließt sich mit dem gesamten Stalagpersonal zu bleiben und das Lager den Amerikanern zu übergeben. Die bei Feindannäherung vorgesehenen Maßnahmen sind durchgeführt. Ich bekomme den Auftrag für Ruhe und Ordnung in Moosburg-Stadt die nötigen Befehle zu geben und die Rot-Kreuz-Liebesgabendepots, das Benzindepot und die Vertragsbäckereien zu bewachen, bez. jede Plünderung zu unterbinden. Alles beim Btl. überflüssige wird in Richtung Erding-Ebersberg abgeschoben. Der ursprüngliche Plan mit den amerikanischen Kgf. nach Süden in den Ebersbergerforst und weiter bis Mittenwald abzumarschieren und die anderen Nationen dem Feind zu übergeben ist glücklicherweise fallen gelassen worden. Es wäre ja ein Verbrechen gewesen. Die Plünderung Moosburgs und der Umgebung wäre als Folge unseres Abmarsches die bestimmte Folge gewesen. Oberst Burger teilt diesen Entschluß auch einem bestimmten Kreis von Moosburger Bürgern mit.

Als ein Dokument besonderer Art läuft in den letzten Tagen ein Tagesbefehl des neuen Befehlshaber im Wehrkreis 7 General Greiner ein, der in völliger Verkennung der Lage von einer Wiederherstellung der Front an der Isarlinie spricht. Ich würde mich lächerlich machen, wenn ich den Inhalt der Truppe - wie befohlen - bekannt geben würde.

26.4.1945

Die Lage hat sich weiter sehr kritisch zugespitzt. Der Verkehr auf der großen Straße Landshut - Moosburg - München, der in den vergangenen Tagen, hauptsächlich bei Nacht beängstigende Formen angenommen hatte, läßt nach, ein Beweis, daß die Front näher rückt. Die Verfassung dieser zurückströmenden Einheiten, natürlich die motorisierten an der Spitze, beweist eine völlige Auflösung unserer Front. An einem Tage fahren 11 Generale mit "Anhang" Ziel Garmisch durch! Merkwürdigerweise ist die fdl. Fliegertätigkeit gering. Lange Züge von KZ-Häftlingen, angeblich aus Straubing, durchziehen in einem erbarmungswürdigen Zustand die Stadt Moosburg in Richtung Freising. - Von Landshut kommen Alarmnachrichten, daß der Amerikaner vor der Stadt stehe. Verbindungsaufnahme mit den oberen Dienststellen ist nicht mehr möglich. - Im Stalag folgt eine Besprechung der anderen. Die Zahl der Kgf. ist weit über 33 000 gestiegen. Deren Begleitkommandos und die Offiziere haben nichts zu tun. Im Stalag wimmelt es von Stabsoffizieren, meist Angehörige der Luftwaffe. Die Moosburger treffen heimlich ihre Vorbereitungen für den Einzug der Amerikaner in Moosburg.

27.4.1945

Die 2. Kp. in Landshut (Hptm. Lohr) hat für die neue Lage keinen bestimmten Auftrag und fahre ich mit Hptm. Hager am Abend mit dem Rad nach Landshut. Eine kurze Besprechung im Heißgarten, wohin Hptm. Lohr seinen Kp.-Sitz verlegt hat, bringt ihn wieder ins Bild. Er wird sich über Kumhausen nach Süden absetzen und soweit möglich, die Kgf. in Landshut übergeben. Die Gelegenheit benütze ich, um schnell noch zu Hause am Geburtstag meiner Frau, einen Besuch zu machen. Ich gebe den Rat in der Stadt zu bleiben, da ja Eberhard, der in ambulanter Behandlung im Laz. Martinschule ist und Gertrud, die beim Roten Kreuz beschäftigt ist, nicht weg können. Keine Ahnung hatte ich, daß ich meiner lieben Tochter Mausi beim Abschied zum letzten Mal die Hand drücken durfte! Bei Blitz und Donner und bei rauschendem Gewitterregen erfolgt die Rückfahrt nach Moosburg, wo wir gegen 23 Uhr wieder eintreffen. Die restliche Nacht verläuft sehr unruhig, ich werde wiederholt an das Telefon gerufen.

28.4.1945

In der Frühe wird mir mitgeteilt, daß am Münchener Sender eine bay. Freiheitsbewegung durch einen Hptm. Gernegroß ausgerufen worden sei. Bald darauf wird aber alles widerrufen. Nach einem Appell im Stalag wird von Oberst Burger mein Adjutant Oblt. Weber mit Krad nach München geschickt, um dort die Lage zu klären. Er kommt am Spätnachmittag zurück und berichtet, daß in München alles ruhig und die Bewegung völlig niedergeschlagen sei. Trotzdem scheinen die Gerüchte nicht unberechtigt zu sein und muß an der Sache etwas Wahres sein. - Das Wetter ist schlecht, es regnet. Der Amerikaner steht nach Meldung von ausgesandten Spähern in Mauern ca. 5 km nordwestl. von Moosburg, bereit zu weiterem Vormarsch. Sonst keine Feindtätigkeit, weder in der Luft noch am Boden. Im Btl. ist die Vernichtung aller Unterlagen, die nicht in Feindeshand fallen dürfen, vollzogen.

Wir sind bereit. Die Kdo. Fhr. des Kgf.-Lager in Moosburg sind eingehend eingewiesen. Ebenso sind die Führer der Moosburger Volkssturm-Einheiten mit klaren Befehlen versehen. An Stelle des Btl. Fhr. Haas, der nicht mehr ganz mitkommt, ist im Btl. der Bankdirektor Straubinger, der mir eine wertvolle Stütze ist und in meinem Sinne arbeitet. Die 4. und 6. Kp. (Imle-Hager) ist im Stalag zusammengezogen, mir stehen neben den Leuten des Stabes (Oblt. Weber und Dr. Rügle, Uffz. Friedl, Ofw. Alt, Stegmann, Sterr, Gefr. Tölle, Hamerard, Vichhauser, das Personal der Zahlmeisterei, Ostbzm. Ehrlich usw. insgesamt ca. 20 Mann) die Kpn. Messerer, Thonstetten und Kolibay, Turnhalle für Moosburg zur Verfügung. Die übrigen neu zugeteilten Kpn. (Begleitkommandos) liegen weit im Umkreis zerstreut, es besteht nur mehr lose Verbindung. Am Spätnachmittag ist nochmals eine Offz.-Besprechung im Stalag. Oberst Burger nimmt an, daß morgen mit der Inbesitznahme von Moosburg durch die Amerikaner zu rechnen sei. Mir werden die RotKreuz-Liebesgabendepots nochmals besonders ans Herz gelegt. Weiter wird mir ein englischer und amerikanischer Offizier zugeteilt, die sich von den meinerseits getroffenen Bewachungs- und Sicherungsmaßnahmen für diese Depots selbst überzeugen sollen. Wir erfahren weiter, daß Oberst B. als Stalagkommandant über das Schweizer Rote Kreuz mit den Amerikanern in Mauern Verbindung aufgenommen hat. Kurze Zeit nach Rückkehr zum Btl. erscheinen mit einem Dolmetscher der englische Oberst Roth - Lt. Col. A. A. Roth, Kinloch Cottage, Callander, Perthshire, Scotlard - und ein jüngerer amerikanischer Oberst, dessen Name mir leider entfallen ist. Ich gehe mit den beiden, die ja noch Kgf. sind, gegen 22 Uhr bei herrlichem Mondschein alle Objekte ab. Sie sind sehr aufgeräumt natürlich voll Freude über die bevorstehende Befreiung und bedanken sich wiederholt für das von Seite des Btl. bewiesene Entgegenkommen. Ein Zimmer wird in der neuen Post, bereitgestellt, mit größtem Interesse betrachten sie die Betten, Frau Scheubner bringt eine Flasche Wein und dann sitzen wir in der Nacht eine Stunde beisammen und unterhalten uns mit Hilfe des Dolmetschers über den Unfug des Krieges. - Der Adj. vom Stalag, Hptm. Geiger, ruft an, daß zwischen den Amerikanern und uns eine neutrale Zone vereinbart worden sei, begrenzt durch die Linie Mauern - Volksmanndorf - Thonstetten. In diesem Dreieck darf kein Schuß fallen. Falls alles gut geht, wollen uns die Amerikaner freien Abzug oder Entlassung auf Ehrenwort zubilligen. Mein englischer Oberst weiß davon und hat keinen Zweifel, daß wir entlassen werden. - Allerdings sollen noch schwache Teile einer SS-Division am Feinde sein, sie hätten jedoch bereits Befehl, sich vom linken Isarufer nach Süden abzusetzen. So war die Lage gegen 24 Uhr.

29.4.1945

Inzwischen laufen am Btl. alarmierende Nachrichten ein, daß die Brücken, die schon entladen waren, erneut von den SS-Männern zur Sprengung vorbereitet würden, daß Teile der SS Widerstand am linken Isarufer leisten werden und überhaupt sei ja die Isar als HK 2 bestimmt. An die von uns mit den Amerikanern getroffenen Vereinbarungen würden sie sich nicht halten, das sehe überhaupt nach Verrat aus! Nun wird die Sache kritisch und es heißt handeln. Also aufs Rad und zuerst zur Isarbrücke. Oblt. Wolf, der Kp. Kollibay, hat dort den Auftrag mit seinem Leben eine Sprengung der Brücke zu verhindern. Ich finde ihn mit dem V. Sturmführer Wirth, der von mir im gleichen Sinn eingewiesen war, in lebhafter Debatte mit SS-Führern vor, die lt. ihrem Befehl im Morgengrauen sprengen wollen. Es handelt sich um einen Rgt. Stb., dem verschiedene gemischte Verbände, dabei auch wallonische SS-Männer unterstellt sind. Ich versuche, den Rgt. Fhr. von der enormen Wichtigkeit der Brücke für die Stromversorgung Oberbayern zu überzeugen, nachdem doch alle wichtigen Kabel von den Kraftwerken unter der Brücke durchgehen. Mit der Abschrift von einem Dokument, das mir die Miag überlassen hat und in dem meine obige Angabe von Gauleiter Giesler, General Greiner usw. bestätigt werden, will ich ihn überzeugen. In dem Dokument steht auch, daß nur mit Genehmigung des Generalkdos. gesprengt werden dürfe. Aber alles vergebens, er hält sich unter Hinweis auf die Remagener Affäre stur an seinen Befehl. Übrigens käme sein Div. Kdr. Gruppenfhr.? Faulhaber in Kürze hierher, der könne den Befehl widerrufen. Inzwischen lasse ich durch Oblt. Kügle vom Gasthaus Länd aus Oberst Burger verständigen mit der Bitte, er möge mit der Abmachung über die neutrale Zone eintreffen. Kurz danach erscheint er und glücklicherweise auch der Div. Fhr. Faulhaber, der von seinem Gefechtsstd. bei Buch a. Erlbach vorgefahren war. Es beginnt ein neues Feilschen und Verhandeln und der Div. Fhr. verspricht die Brücke nicht zu sprengen, da der Ami ja lt. Vereinbarung vorläufig die Isar bei Moosburg nicht überschreite. Erlöst atmen wir auf. Vorsichtshalber lasse ich aber doch die Bewohner der an die Brücke grenzenden Häuser verständigen, daß mit einer Brückensprengung zu rechnen ist. - Die Nacht ist wundervoll mondklar, fast ganz ruhig alles, nur in nördlicher Richtung, von Landshut her, ist eine starke Brandröte zu bemerken. Sich absetzende Teile der SS-Division marschieren gruppenweise über die Brücke zurück nach Südosten. Die Leute, lauter junge Burschen, machen einen übermüdeten, gleichgültigen Eindruck. Sie sind aber in der Hand ihrer Führer. Von schweren Waffen sieht man nichts.

Kaum am Btl. wieder angelangt, es ist inzwischen 5 Uhr geworden, kommt von Volkssturmmännern die Meldung, daß in der Stadt entlang der Straße zum Bahnhof Pakgeschütze in Stellung seien. Also wieder aufs Rad und dort Nachschau gehalten. Tatsächlich entdecke ich zwei gut getarnte Geschütze in Lauerstellung. Ich verhandle mit dem Zugführer, erfahre dessen Auftrag und bringe ihn so weit, daß er, da seine Einheiten nach meiner Angabe sich bereits über die Isarbrücke zurückgezogen haben, den Befehl zum Abmarsch gibt. Später allerdings erfahre ich, daß er nachträglich noch Bedenken bekam ob meiner Zuständigkeit und glaubte von einem "Seydlitz"-Offizier getäuscht worden zu sein. Jedenfalls haben die beiden Geschütze während des folgenden Kampfes in Moosburg nicht geschossen und das war die Hauptsache.

Wie ich wieder beim Btl. eintreffe, finde ich einen höheren SS-Offizier in großer Aufregung vor, der gerade dem etwas konsternierten V-Sturm Btl. Fhr. Haas das Aufhängen androht, wenn er ihm nicht sofort einige 100 V-Männer zu Schanzarbeiten abstellt. Beiderseits der Amperbrücke sollen die Leute Schützenlöcher ausheben. Es kostet viel Mühe, den Mann zu beruhigen, er betrachtet meine Einmischung sehr mißtrauisch. Ich verspreche ihm, mit dem V-Sturm das nötige zu veranlassen und bringe ihn so wenigstens wieder aus meinem Büro heraus. Größte Sorge bereiten mir meine beiden Kgf. Offiziere, für deren Schutz ich bürgte, denn wenn er diese erwischt hätte, hätte er sie bei seinem rabiaten Wesen wahrscheinlich als Geiseln mitgenommen. Haas ist völlig erledigt. Ich rate ihm wenigstens einige V-Männer zum Schein mit Spaten und Pickel in die gewünschte Richtung zu senden. Es kann sich ja bis zum Kommen der Amis nur mehr um einige Stunden handeln. Die Masse der V-Männer ist ja so schon längst verschwunden. Alle diese Vorgänge werden an Adj. Stalag Hptm. Geiger gemeldet. Von dieser Stelle aus erfahre ich auch, daß im Stalag alles ruhig ist. Man glaubt, daß die schwachen SS-Teile keinen sinnlosen Widerstand leisten werden.

Um 7 Uhr halte ich einen kurzen Appell an die Stabsangehörigen und kläre sie über die Lage und unseren Auftrag nochmals auf. Die Leute vertrauen mir restlos. Auch gebe ich ihnen die Möglichkeit der Entlassung auf Ehrenwort bekannt, darob natürlich nur frohe Gesichter.

7.15 Uhr erfolgt von der 2./512 aus Kumhausen ein Anruf, daß in Landshut alles ruhig sei.

Meine beiden Kgf. Offiziere haben inzwischen gut gefrühstückt und erscheinen frisch gewaschen und ausgeruht in freudiger Erwartung der kommenden Ereignisse. Sie haben von irgend einer Seite schon gehört von den in der Nacht aufgetretenen Schwierigkeiten und lebhaft debattieren sie über das Auftauchen der SS-Verbände. Recht geheuer erscheint ihnen ihre Befreiung nicht mehr. Ich lasse sie jetzt nicht mehr von meiner Seite, damit nicht in letzter Minute ein folgenschweres Unglück geschieht.

Ich glaube, es war gegen 9 Uhr, als in unsere Erwartung hinein plötzlich aus der Richtung Wittibsmühle einzelne Schüsse und später M.G. Feuer vernehmbar wird. Ziemlich verdutzt sehen wir uns an, denn das bedeutet Kampf und Bruch aller Abmachungen. Das Feuer verstummte, flackerte wieder auf, deutlich ist die typische Schußfolge des deutschen M.G. 42 zu unterscheiden. Vom Dach der Neuen Post, einem ausgezeichneten Beobachtungsstand verfolge ich nun bei prachtvoller Sicht, den sich entwickelnden Kampf um die Amperbrücke, der wider alles Erwarten eingesetzt hat. - Die Amerikaner sind ohne Zweifel in ihrem Vormarsch gestört, es entstehen längere Feuerpausen, doch alsbald sieht man auf den Höhen westlich Feldkirchen 15-20 Panzerwagen langsam sichernd heranrollen. Hie und da blitzt ein Schuß auf, der an der Brücke oder auch in Gegend Thonstetten einschlägt. Sie verschieben sich hinter Geländefalten und Wald, tauchen wieder auf und ziehen sich immer mehr gegen den Amperübergang zusammen. Panzerfäuste werden von vorne bei uns angefordert. Sie wurden aber alle in den letzten Tagen im Stalag abgeliefert!! - Einige Panzergranaten schlagen jetzt in Moosburg ein. Meine Kgf. ziehen es allmählich vor, tiefere Etagen aufzusuchen. - Gegen 11 Uhr nähert sich der Gefechtslärm immer mehr, man kann auf den Wiesen zwischen der Amper und dem Stadtrand zurückgehende eigene Infanterie beobachten. Diese SS-Männer nisten sich in der Stadt ein, man hört deutlich ganz nah M-Pistolen-Abschüsse.

Bei dem herrlich klaren Wetter beobachte ich wiederholt auch in Richtung Landshut, von dem die Türme, die Burg und hervorragende Stadtteile gut sichtbar sind und alles scheinbar ruhig ist. Keine Ahnung bewegt mich von dem furchtbaren Geschehen, das inzwischen sich dort ereignet hat.

In der Stadt nähert sich jetzt der Kampf seinem Höhepunkt, von allen Seiten knallt es. Ich beobachte teils vom Dach, teils von der Straße aus sichere Deckung. Aber noch ist kein Ami sichtbar. Plötzlich ist das typische Rasseln von schweren Panzern zu hören, die dem Lärm nach zu schließen in höchster Geschwindigkeit die Straße nördlich der Kastuluskirche fahrend, zur Isar hinstreben. Von dort ist dann eine schwere Detonation zu hören, ein mächtiger Rauchpilz steigt auf. Meine Befürchtung, daß die Isarbrücke nun doch in die Luft geflogen ist, hat sich leider später bestätigt. Also war alle Mühe dort umsonst gewesen. - Vom Fenster aus sehe ich einige amerikanische Infanteristen die Straße entlang schleichen, es ist aber kein Widerstand mehr vorhanden, kein Schuß fällt mehr. Moosburg scheint genommen zu sein.

Unsere Erwartung ist auf das höchste gestiegen, als endlich ein kleiner Führerwagen vorbeibraust, den meine beiden Kgf. Offiziere vom Fenster aus durch Zurufe anhalten. Ein Kapitän, von athletischer, kraftstrotzender Figur, das Gesicht noch gerötet von der Aufregung des Kampfes, kommt herauf und es gibt vor unseren Augen eine begeisterte, natürlich begreifliche Wiedersehensszene, der wir mit sehr gemischten Gefühlen zusehen müssen. Die Rollen haben sich eben vertauscht! Die beiden ehem. Kgf. Offiziere sprechen sichtlich für uns - vor allem der englische Oberst - und die Waffenabnahme geht streng korrekt vor sich. Das Schicksal hat sich gewendet, wir sind nunmehr die Gefangenen! Zu unserem Schutz gibt man uns zwei Posten, frische, unbekümmerte Soldaten, die nur ein Interesse haben, sich "Souveniers" zu verschaffen. - Nach kurzem Verhandeln fahre ich mit dem amerikanischen Offizier, der seine Einstellung zu uns nicht geändert hat, auf einem Panzerwagen die von uns bewachten Moosburger Objekte ab. Inzwischen sind nämlich vor der Neuen Post von der Moosburger Bevölkerung mit weißen Fahnen begrüßt, auch Blumen sieht man, schwere Panzer vorgefahren. Die Objekte werden alle unbeschädigt übergeben. Auf diese Weise sehe ich allerhand in der Stadt, die mit Ausnahme einiger Artillerietreffer und eines Brandes nicht gelitten hat. Sehr interessant ist, daß auf dem Dach des Steinbock bereits der Union Jack hängt, von Dr. Schottenhammel persönlich gehißt. Die meisten Moosburger haben bereits weiß geflaggt und stehen neugierig und überflüssig schauend umher. Ins Stalag komme ich leider nicht, in der Gegend der Turnhalle sehe ich bereits eine große Anzahl deutscher Soldaten versammelt: Kriegsgefangene! Zurückgekehrt in die Neue Post essen wir mit dem amerikanischen Offizier, den Posten nochmals - zum letzten Male - gemeinsam zu Mittag. Frau Scheubner hat zur Ehre des Tages einen Schweinebraten hergerichtet und dazu gibt es vom Brauwirtschaftsverband gestiftetes Vollbier. Ich trinke es zum erstenmal in Moosburg. Unsere bisherigen Herbergsleute haben bereits restlos ihre Sympathien den Amerikanern zugewendet. Zum ersten Mal sehen wir auch hier die berühmten amerikanischen Konserven. Nach dem Essen erscheint auch wieder der englische Oberst, der inzwischen im Stalag mit den Amerikanern verhandelt hat. Er teilt uns mit Bedauern mit, daß wegen der Vorfälle mit der SS, wodurch die gegenseitige Vereinbarung gebrochen wurde, wir als Kriegsgefangene behandelt werden. Dieser Entscheid ist den Amerikanern sicherlich peinlicher als uns. Ich habe, offen gestanden, von vornherein mit nichts anderem gerechnet. Die enttäuschten Gesichter meiner Leute tun mir aber leid. Wir verabschieden uns mit Handschlag, holen unser vorbereitetes Gepäck und treten dann den Weg zur Turnhalle an, damit beginnt unser Weg in die Kriegsgefangenschaft.

Dort sind bereits viele Offiziere und Mannschaften versammelt und kann man viele bekannte Gesichter sehen, z. B. Major Hofmann, Hptm. Heilingbrunner, Messerer, Kolibay, auch viele Zivilisten, z. B. Bürgermeister Müller, den gesamten Stadtrat usw. Leider ist der erste Eindruck gleich der, daß verwegene Gestalten von Amerikanern den Unteroffizieren und Mannschaften mit geschickter Bewegung, die Übung verrät, die Uhren abnehmen. Ich sehe Amis mit 10 und mehr Armbanduhren. Auch sonstige Wertsachen werden entführt. Diese Art von Gefangenenbehandlung ist mir neu, denn es ist ja alles Privateigentum. Stundenlang stehen wir nun auf dem Platz vor der Turnhalle. Die Amerikaner scheinen über die Isar nicht gefolgt zu sein, einige Schüsse hört man hin- und herpfeifen, sonst herrscht völlige Waffenruhe. Gegen 16 Uhr beginnt endlich unser Abtransport zu Fuß. Der Marsch durch die Stadt, über den Plan ist ein willkommener Anlaß für die Moosburger zum Gaffen. Man sieht nur wenige teilnehmende Gesichter. Glauben wir anfangs in das Stalag gebracht zu werden, so sehen wir uns bald getäuscht. Der Zug geht über die Bahn, entlang der Straße zur Wittibsmühle in Richtung Mauern. Die frischen Kampfspuren sind überall noch sichtbar. In den Straßengräben Haufen von Waffen, zerschossene Fahrzeuge. Bei der Amperbrücke liegen 10-12 tote deutsche Soldaten. Die Brücke selbst ist unbeschädigt. Unsere Marschkolonne wird schwer bewacht: vorwärts ein kleiner Führer-PKW, an den Seiten schwer bewaffnete Amerikaner, so schleppen wir uns in der Hitze dahin. Es geht in Richtung Gammelsdorf dahin und kurz vor dem Dorf, auf einer freien Wiese, wird unser Zug ca. 600 Mann, den bereits dort versammelten Kgf. angeschlossen. Hier treffen wir die Stalag-Leute, darunter Oberst Burger mit seinen Offizieren. Es gibt ein großes Fragen und Antworten. Die Stimmung ist nicht schlecht. Galgenhumor. Wir biwakieren im Freien, es fängt zu schneien an und die folgende Nacht ist recht kalt. Von mindestens 15 Panzern umstellt, mit Scheinwerfern angestrahlt, in der Mitte für die Amerikaner ein großes Feuer, so verbringen wir die Nacht, für einen Kriegsmaler ein herrliches Motiv. Über unsere Köpfe weg schießt die Artillerie Störungsfeuer, Einschläge sind nicht hörbar. Meine Gedanken, Wünsche und Hoffnungen sind bei meiner Familie. So endet der denkwürdige 29. April 1945."

Anfang Quelle:

  • Rudolf Koller: "Erlebnisbericht vom 1.4.'45 - 10.6.'45". In: Was ist geschehen? Hrsg.: Maria Keller. Moosburg 1995, S. 71-86.

    Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von © Maria Keller.
    Das genannte Buch ist bei der Herausgeberin erhältlich:
    Maria Keller, Gabelsbergerstr. 1, 85368 Moosburg.

Bürgernetz Moosburg Online Stalag VII A
Zuletzt bearbeitet am 13.3.1999 vom © WebTeam Moosburg (E-Mail) - Es gilt das Urheberrecht!