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Internierungslager: Die Evangelische Lagergemeinde


Inhalt

Quelle:
Klaus von Eickstedt: Christus unter Internierten. Neuendettelsau: Freimund-Verlag 1948.

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des © Freimund-Verlags.

Christus unter Internierten

von Dr. Klaus von Eickstedt

Vorwort des Verfassers

Im Juli 1948 trafen sich etwa 40 ehemalige Internierte des Lagers Moosburg zu einer fünftägigen „Freizeit der Lagergemeinde“ im Schloß Tutzing am Starnberger See, dem wunderschönen Heim der evangelischen Akademie der bayerischen Landeskirche. Dieser ersten Freizeit ehemaliger Internierter sind inzwischen bereits mehrere andere gefolgt.

Ist es nicht etwas Wunderbares und Außergewöhnliches, daß sich ehemalige politische Häftlinge Jahre oder Monate nach ihrer Entlassung aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands zusammenfinden zu einer Zeit der Stille und Besinnung? Man sollte doch eigentlich meinen, daß ein jeder von denen, die Leid und Erniedrigung einer Internierung durchgemacht haben, bestrebt sein müßten, die Zeiten der Gefangenschaft möglichst schnell aus dem Gedächtnis zu tilgen, eine Zeit auszulöschen, die wahrlich nicht dazu angetan war, freundliche Gedanken zu hinterlassen. Aber so ist es nicht! Viele, die dort Jahre und Monate hinter Stacheldraht zubringen mußten, empfinden je länger je stärker bei der Rückerinnerung den Glanz einer Erfahrung von beglückender Tiefe, hinter dem die Zeiten des Hungers, der Entbehrungen, der Freiheitsberaubung, kurz der Verzweiflung verblassen. „Mysterium gratiae = das Geheimnis der Gnade“ in diesem Wort hat einmal einer im Lager das zusammengefaßt, was so vielen Kameraden dort hinter Stacheldraht durch die Begegnung mit dem lebendigen Gott geschenkt worden ist. Von diesem Geschehen, das so einfach und natürlich verlief und doch so wunderbar war, soll im folgenden Bericht die Rede sein.

Dieser Bericht ist in erster Linie für die Kameraden und Brüder geschrieben, die damals Glieder der Gemeinde Jesu Christi hinter Stacheldraht wurden, der Bericht einer Begegnung, die als verpflichtende Ermahnung für alle diese Männer immer gegenwärtig bleiben möge; er soll aber auch geschrieben sein für unsere Kirche und ihre Glieder, um darzutun, wie unter diesen Verhältnissen lebendige Gemeinde entstand. So betrachtet wird er vielleicht ein Bußruf sein, hoffentlich in jedem falle auch Tröstung!

Göttingen, im November 1949

Vorwort des ersten Lagerpfarrers

„Die da sitzen mußten in Finsternis und Dunkel, gefangen im Zwang und Eisen, darum daß sie Gottes geboten ungehorsam gewesen waren und das Gesetz des Höchsten geschändet hatten, dafür ihr Herz mit Unglück geplagt werden mußte, daß sie dalagen und ihnen niemand half; die zum Herrn riefen in ihrer Not, und er half ihnen aus den Aengsten und führte sie aus Finsternis und Dunkel und zerriß ihre Bande: die sollen dem Herrn danken für seine Güte und für seine Wunder, die er an den Menschenkindern tut, daß er zerbricht eherne Türen und zerschlägt eiserne Riegel.“ (Ps. 107, 10-16)

Das ist an uns in der Evangelischen Lagergemeinde Moosburg geschehen, die Befreiung aus Schuld und Not zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Dieses Widerfahrnis rückte uns zusammen: die mehr oder minder „Belasteten“ mit den „Unbelasteten“, die Christen, die Halbchristen und die Neuheiden, die Kirchlichen und die schon lange Unkirchlichen, die Nord-, Süd-, und Volksdeutschen, ja auch die Nichtdeutschen und was sich sonst an „Kategorien“ in dem merkwürdigen Sammelsurium eines Zivilinterniertenlagers vorfand; dieses göttliche Werk der Befreiung band uns zusammen zu einer Gemeinde, die auch außerhalb des Stacheldrahtes Bestand hat. Dafür wollen wir dem Herrn danken!

Die folgenden Blätter möchten ein Zeugnis solchen Dankes sein, zugleich eine Mahnung an alle, denen die äußere Freiheit wiedergeschenkt wurde: „Vergiß nicht, was Er dir Gutes getan hat!“ Wie nötig dieser bleibende dank ist, bei all den Belastungen und Enttäuschungen des Alltags, wissen wir nur all zu gut.

Wie ist es zu diesen Blättern gekommen? Ich entsinne mich noch genau der Stunde, als ich nach einem Sonntagsgottesdienst in der schlimmsten Hungerzeit des Sommers 1945 zwei Moosburger Brüder zu mir kamen und Pläne der Weiterarbeit nach dem Verlassen des Lagers entwickelten. Das schien mir, zumal in den ersten Wochen, allzu unnüchtern; ich glaube, ich wehrte ziemlich schroff ab. Auch die Nachschriften der zahllosen Predigten und Vorträge betrachtete ich zunächst mit einigem Mißtrauen. Wir Theologen wittern leicht unnüchterne „Schwärmerei“. Doch es stellte sich bald heraus, daß es sich nicht um Strohfeuer handelte, sondern daß es in Moosburg zu einer Gemeindebildung von seltenem Ausmaß und ganz besonderer Art kam. Die Pfarrer kamen und gingen, aber die Gemeinde blieb eine lebendige Gemeinde hinter Stacheldraht 2 ½ Jahre hindurch. Es konnte nicht anders sein, als daß sie sich auch außerhalb des Stacheldrahtes sofort wieder zusammenfand, seit dem Sommer 1948 eine rege Freizeitarbeit entfaltet und die zerstreuten Glieder zu vielen Hunderten durch den „Moosburger Brudergruß“ sammelt. Was in den Jahren der Prüfung an Erkenntnissen und Erfahrungen unter dem lebendigen Wort gewachsen ist, darf nun bewährt und weitergegeben werden. So durfte auch der Beschluß der ersten Moosburg-Freizeit (Juni 1948 in Tutzing) mit gutem Gewissen gefaßt werden, einen gedruckten Bericht über die Anfänge der Ev. Lagergemeinde Moosburg herausgeben zu lassen.

Mit dieser Arbeit wurde ein von Anfang an führender Laie der Lagergemeinde, Dr. Klaus von Eickstedt, betraut. Wir danken ihm von Herzen für seine Mühewaltung. was er leisten sollte und konnte, ist die Darstellung der Anfänge, genauer: des ersten Jahres. Es ist unausbleiblich, daß ein Bruder, der bis zum Schluß (Dezember 1947) das Leben in der Lagergemeinde mitgemacht hat, manche Akzente auch der ersten Jahre anders setzt. Daß und wie es 1946 / 47 weitergegangen ist, wird wohl auch aus diesem Bericht genügend klar; die bisher 5 Nummern des „Moosburger Brudergrußes“ bieten ohnedies notwendige und erwünschte Ergänzungen. Mir persönlich ist es ein herzliches Bedürfnis, in diesem Augenblick all die bekannten und z.T. immer noch unbekannten Diener am Wort zu grüßen, die mit mir und nach meiner Entlassung im Juni 1946 im Lager das Pfarramt geführt haben.

„Einer ist euer Meister, ihr seid alle Brüder.“ In Moosburg haben wir einen einzigartigen Anschauungsunterricht bekommen: Allein das Wort des Meisters baut die Gemeinde. Unter dem Wort wurden wir Brüder. Auch der Pfarrer durfte Bruder unter Brüdern werden. Was wir Pfarrer in unseren volkskirchlichen Gemeinden oft so schmerzlich vermissen, hinter dem Stacheldraht wurde es uns geschenkt: die unseren Predigtdienst tragende Bruderschaft. Die beste Predigt verhallt oft genug im Leeren, wenn da nicht Herzen und Hände sind, die dem Pfarrer das Wort abnehmen, es weitertragen, anwendend in missionierendem Gespräch, wenn nicht die Brüder den verbitterten und Verzweifelten an die Hand nehmen und ihn, den oft der Pfarrer nicht erreichen kann, unter das lösende Wort führen. Daß Ihr, insbesondere Ihr Glieder des Kirchenrats und all Ihr Helfer mit uns Pfarrern Diener des Wortes gewesen seid, war von Anfang an unsere große Freude und Stärkung. So wollen wir es weiter halten, ein jeder an dem Ort, an den er jetzt gestellt ist, damit unsere evangelische Kirche durch Gottes befreiendes Wort erneuert werde zu frohem und dankbarem Dienst an der Welt, die ohne Jesus Christus keine Hoffnung hat. Laßt uns Gemeinde werden, auch draußen, lebendige Gemeinde des lebendigen Herrn Jesus Christus! Laßt uns dem Herrn danken für seine Güte und seine Wunder, die er an den Menschenkindern tut!

Koblenz, im Juni 1949

Wilhelm Rott



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